Apokalypse Now oder Die Übermarionette – World War I
Theaterinstallation: „Die letzten Tage der Menschheit
oder der Untergang der Welt durch schwarze Magie“
Konzept: Bülent Kullukcu
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Galerie Kullukcu – Schillerstraße 23. Nein, nicht die Schellingstraße an der Universität. Ja, die Schillerstraße am Hauptbahnhof, direkt zwischen rosa Schaufenstern und Computerläden, Juwelieren und Geldwechselstuben. Ich komme zu spät, habe mich verfahren.
Nachdem ich einen Parkplatz im eingeschränkten Parkverbot ergattern konnte (Wikipedia: „Kraftfahrzeuge dürfen nicht länger als drei Minuten halten“), sehe ich das Schild: KULLUKCU, trete ein. Intuitiv steige ich das Treppenhaus mehrere Stockwerke aufwärts und begegne im dunklen Gang einem Mann in Turban und Pistole in der Hand – ja, in meiner Vorstellung: angesichts der Grausamkeiten des ersten Weltkrieges, mich darauf einzulassen, fordert mir ungeheure Kräfte ab – und sage „Hallo“. Der Mann kam nur zum Beten hierher. Ich danke ihm. Ein Stock weiter oben, da ist es. EMBRYO spielen auch bald hier, am 20. April. Ich werde eingelassen, still, wie bei einer Mediation, sitzen die Menschen andächtig. Susanna, mit der ich später noch sprechen werde und die das Stück schon fünf mal gesehen hat, begrüßt mich mit einem Lächeln und es geht los.
In einer Zeit der Zerissenheit und Orientierungslosigkeit suchen die Menschen nach einem alles „übergreifenden Sinn“, der „alle vereint“. Die Vibrationen eines gefilterten Oszillators tragen die Stimmen in der Dunkelheit. Kleine, antennenartige Tischlämpchen, die wie Insektenfühler anmuten, kreisen und beleuchten eine virtuelle Szenerie, konkret wie Modelleisenbahndeko, Zinnfigurenansammlungen und Raumfahrtplastikminiaturen.
Das Video-Live-Bild wird geführt von Anton Kauns Hand, der sich in München unter dem Pseudonym „Rumpeln“ einen Namen gemacht hat und immer noch macht – letztes Jahr auf dem Digital Analog Festival im Gasteig seine Hand sogar an einem scharfen Metallband bei der sehr extrovertierten Performance, die eine zerrissene Innenwelt spiegelt, mit tiefem Schnitt verletzte und sich so – zu seinem Glück – per Notarzt vom Ansturm des Publikums rettete.
„Wir trinken Blut, wir trinken es heiß, wir treiben den Preis“ - eine Raumsonde schwebt per Nylonfaden vom Kosmos herunter, während wir das rituelle Tieropfer zur Rechten mit Erschaudern sehen und nicht sehen wollen, auf der frontalen Projektionsfläche die Übermarionette, die Edward Gordon Craig doch immer gefordert hatte und ich nie verstand, wie das im Theater aussehen soll – jetzt weiß ich es endlich.
Der Kameramann Anton lädt mich auf ein Gläschen Wein ein. Drei Männer waren es, Dominik und Bülent mit ihm auf der Bühne. Ich schnappe mir das Buch „Das Theater der Grausamkeit“ von Antonin Artaud, das ich plötzlich, bei hellem Schein der Publikumsbeleuchtung auf meiner Sitzbank auffinde. Was war das eigentlich? Hier lese ich es, ein „Schmeltztiegel aus Feuer und wirklichem Fleisch“.
Wie wirklich ist der erste Weltkrieg, wenn ein Soldat zu seinem Stolz hinzufügt, er hätte auch was für seine Untergebenen getan – neben der Massakrierung ihrer Gesichter ihnen auch das Mädchen, welches er vergewaltigt hatte, überließ. Bitte verstehen Sie mich, wenn ich hier auf weitere Zitate aus dem Werk von Karl Krauss verzichte.
Ich spreche mit Herrn Kullukcu persönlich. Eine „Negativ-Meditation“ nennt er seine Arbeit. Susanna, die Dame, die hier in der Gallerie Kullukcu an der Bar und am Einlass arbeitet, kann immer besser verstehen, was Karl Krauss eigentlich gemeint hatte. Der Autor sprach von einem Bürgerkrieg, einem Krieg im Innern, der den äußeren Krieg eigentlich erst möglich macht.
Wie aktuell ist ein Karl Krauss von 1918, wenn wir uns immer noch mit Phrasen wie „Kopf hoch“ und den „Mut nicht sinken lassen“ in Situationen sagen, die, wer weiß wie weit entfernt von denen des Soldaten in den letzten Tagen der Menschheit sind, dessen Stimme computergenerierte Softwaredemo ist?
Robert Hofmann, dem Geschäftsführer des i-camp, ist München manchmal etwas zu klein. Ich grüße ihn als Gast der heutigen Aufführung und konfrontiere ihn mit der Aufgabe des Theaters. Herr Hoffmann äußert sich zur Problematik des Spagats zwischen Däumchendreherpublikum und der Schwierigkeit, Menschen in den Zustand der Selbstreflexion zu bringen - „was hier hervorragend funktioniert“, so Hoffmann.
Das Bühnenbild, nachträglich wie eine Ausstellung zu besichtigen, erinnert an Labortische, jetzt, da die strategische Kriegsführung abgeschlossen, unbewegt, nur noch virtuell oder im Geiste geschehen kann. Doch eine Requisite fällt aus dem Rahmen: das Keyboard – die Musik. Wenn unsere Computertechnologie mitsamt Audio und Video sich nicht ebenfalls den gleichen Ursprung teilen müssten, den Krieg.
Da die Aufführung des Originalwerks zehn Tage gedauert hätte, stellt uns Herr Kullukcu Raketen zur Verfügung, um uns den Aufenthalt auf dem Mars vorweg zu nehmen, der notwendig gewesen wäre, um das Stück zu verstehen - „Die Handlung, in hundert Szenen und Höllen führend, ist unmöglich, zerklüftet, heldenlos wie jene“ (Krauss). Die Vielfalt der computergenerierten Stimmen (weiblich, männlich, Belgisch, Deutsch, unverständlich, rück Wärts gesprochen), der Chor - wie im antiken Theater - kann die Schlagkraft menschlicher Gewalt in unserem Bewusstsein kaum mildern, welche nur wenige Sätze oder Passagen aus dem Untergang der Welt durch schwarze Magie verursachen.
Die neuen Technologien (selbst Krauss macht nichts anderes als „copy&paste“ in seiner fünfaktigen Tragödie), wie Kullukcu mir am Telefon im nach Hinein berichtet, gegen deren Erprobung im Krieg sich der Dramatiker, wie gegen Hetzjournalismus, zu seiner Zeit wandte, haben auch heute am menschlichen Verhalten nicht viel geändert. Ganz untrennbar davon, wie mir anmutet, beschreibt der Regisseur als Schwarze Magie etwas, das, losgelöst von der originären, alle Geschicke leitet, und nur noch für sich selber steht. Vielleicht ist sich das Individuum in Massen ja wirklich nicht bewusst, dass es mit Technologie nicht nur mehr unschukdige Magie betreibt?
"In einer freien Gesellschaft ist es so, dass Medien frei entscheiden" zitiert süddeutsche.de den innenpolitischen Sprecher der SPD-Fraktion, Michael Hartmann, zur aktuellen Berichterstattung Breivik, die mir Herr Kullukcu als Beispiel zu meiner Frage der Gegenwärtigkeit seiner Aufführung nennt. „Für das eigene Verhalten“, so Kullukcu, „ist jeder selbst verantwortlich“. Mit seiner endgültigen Antwort verbleibt er einfach: „Entweder man entscheidet sich für das Gute oder das Böse. Soviel ist da nicht dazwischen.“
Auch an diesem Sonntag habe ich kein „Pickerl“ an meiner Frontscheibe im eingeschränkten Halteverbot. Es regnet. Ich glaube, ich komme am Freitag noch mal in die Schillerstaße. EMBRYO spielen ja wieder. Susanna, die Dame an der Theke, verabschiedet mich mit „bis bald!“.
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Volltext der Tragödie: http://www.archive.org/stream/diefackel418krauuoft/diefackel418krauuoft_djvu.txt
Breivik SZ: http://www.sueddeutsche.de/panorama/prozess-gegen-norwegischen-attentaeter-breivik-prahlt-mit-seinen-bluttaten-1.1334346
WIkipedia Halteverbot: http://de.wikipedia.org/wiki/Haltverbot
Anton Kaun: http://www.rumpeln.de
Galerie Kullukcu: http://kullukcu.de
oder der Untergang der Welt durch schwarze Magie“
Konzept: Bülent Kullukcu
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Galerie Kullukcu – Schillerstraße 23. Nein, nicht die Schellingstraße an der Universität. Ja, die Schillerstraße am Hauptbahnhof, direkt zwischen rosa Schaufenstern und Computerläden, Juwelieren und Geldwechselstuben. Ich komme zu spät, habe mich verfahren.
Nachdem ich einen Parkplatz im eingeschränkten Parkverbot ergattern konnte (Wikipedia: „Kraftfahrzeuge dürfen nicht länger als drei Minuten halten“), sehe ich das Schild: KULLUKCU, trete ein. Intuitiv steige ich das Treppenhaus mehrere Stockwerke aufwärts und begegne im dunklen Gang einem Mann in Turban und Pistole in der Hand – ja, in meiner Vorstellung: angesichts der Grausamkeiten des ersten Weltkrieges, mich darauf einzulassen, fordert mir ungeheure Kräfte ab – und sage „Hallo“. Der Mann kam nur zum Beten hierher. Ich danke ihm. Ein Stock weiter oben, da ist es. EMBRYO spielen auch bald hier, am 20. April. Ich werde eingelassen, still, wie bei einer Mediation, sitzen die Menschen andächtig. Susanna, mit der ich später noch sprechen werde und die das Stück schon fünf mal gesehen hat, begrüßt mich mit einem Lächeln und es geht los.
In einer Zeit der Zerissenheit und Orientierungslosigkeit suchen die Menschen nach einem alles „übergreifenden Sinn“, der „alle vereint“. Die Vibrationen eines gefilterten Oszillators tragen die Stimmen in der Dunkelheit. Kleine, antennenartige Tischlämpchen, die wie Insektenfühler anmuten, kreisen und beleuchten eine virtuelle Szenerie, konkret wie Modelleisenbahndeko, Zinnfigurenansammlungen und Raumfahrtplastikminiaturen.
Das Video-Live-Bild wird geführt von Anton Kauns Hand, der sich in München unter dem Pseudonym „Rumpeln“ einen Namen gemacht hat und immer noch macht – letztes Jahr auf dem Digital Analog Festival im Gasteig seine Hand sogar an einem scharfen Metallband bei der sehr extrovertierten Performance, die eine zerrissene Innenwelt spiegelt, mit tiefem Schnitt verletzte und sich so – zu seinem Glück – per Notarzt vom Ansturm des Publikums rettete.
„Wir trinken Blut, wir trinken es heiß, wir treiben den Preis“ - eine Raumsonde schwebt per Nylonfaden vom Kosmos herunter, während wir das rituelle Tieropfer zur Rechten mit Erschaudern sehen und nicht sehen wollen, auf der frontalen Projektionsfläche die Übermarionette, die Edward Gordon Craig doch immer gefordert hatte und ich nie verstand, wie das im Theater aussehen soll – jetzt weiß ich es endlich.
Der Kameramann Anton lädt mich auf ein Gläschen Wein ein. Drei Männer waren es, Dominik und Bülent mit ihm auf der Bühne. Ich schnappe mir das Buch „Das Theater der Grausamkeit“ von Antonin Artaud, das ich plötzlich, bei hellem Schein der Publikumsbeleuchtung auf meiner Sitzbank auffinde. Was war das eigentlich? Hier lese ich es, ein „Schmeltztiegel aus Feuer und wirklichem Fleisch“.
Wie wirklich ist der erste Weltkrieg, wenn ein Soldat zu seinem Stolz hinzufügt, er hätte auch was für seine Untergebenen getan – neben der Massakrierung ihrer Gesichter ihnen auch das Mädchen, welches er vergewaltigt hatte, überließ. Bitte verstehen Sie mich, wenn ich hier auf weitere Zitate aus dem Werk von Karl Krauss verzichte.
Ich spreche mit Herrn Kullukcu persönlich. Eine „Negativ-Meditation“ nennt er seine Arbeit. Susanna, die Dame, die hier in der Gallerie Kullukcu an der Bar und am Einlass arbeitet, kann immer besser verstehen, was Karl Krauss eigentlich gemeint hatte. Der Autor sprach von einem Bürgerkrieg, einem Krieg im Innern, der den äußeren Krieg eigentlich erst möglich macht.
Wie aktuell ist ein Karl Krauss von 1918, wenn wir uns immer noch mit Phrasen wie „Kopf hoch“ und den „Mut nicht sinken lassen“ in Situationen sagen, die, wer weiß wie weit entfernt von denen des Soldaten in den letzten Tagen der Menschheit sind, dessen Stimme computergenerierte Softwaredemo ist?
Robert Hofmann, dem Geschäftsführer des i-camp, ist München manchmal etwas zu klein. Ich grüße ihn als Gast der heutigen Aufführung und konfrontiere ihn mit der Aufgabe des Theaters. Herr Hoffmann äußert sich zur Problematik des Spagats zwischen Däumchendreherpublikum und der Schwierigkeit, Menschen in den Zustand der Selbstreflexion zu bringen - „was hier hervorragend funktioniert“, so Hoffmann.
Das Bühnenbild, nachträglich wie eine Ausstellung zu besichtigen, erinnert an Labortische, jetzt, da die strategische Kriegsführung abgeschlossen, unbewegt, nur noch virtuell oder im Geiste geschehen kann. Doch eine Requisite fällt aus dem Rahmen: das Keyboard – die Musik. Wenn unsere Computertechnologie mitsamt Audio und Video sich nicht ebenfalls den gleichen Ursprung teilen müssten, den Krieg.
Da die Aufführung des Originalwerks zehn Tage gedauert hätte, stellt uns Herr Kullukcu Raketen zur Verfügung, um uns den Aufenthalt auf dem Mars vorweg zu nehmen, der notwendig gewesen wäre, um das Stück zu verstehen - „Die Handlung, in hundert Szenen und Höllen führend, ist unmöglich, zerklüftet, heldenlos wie jene“ (Krauss). Die Vielfalt der computergenerierten Stimmen (weiblich, männlich, Belgisch, Deutsch, unverständlich, rück Wärts gesprochen), der Chor - wie im antiken Theater - kann die Schlagkraft menschlicher Gewalt in unserem Bewusstsein kaum mildern, welche nur wenige Sätze oder Passagen aus dem Untergang der Welt durch schwarze Magie verursachen.
Die neuen Technologien (selbst Krauss macht nichts anderes als „copy&paste“ in seiner fünfaktigen Tragödie), wie Kullukcu mir am Telefon im nach Hinein berichtet, gegen deren Erprobung im Krieg sich der Dramatiker, wie gegen Hetzjournalismus, zu seiner Zeit wandte, haben auch heute am menschlichen Verhalten nicht viel geändert. Ganz untrennbar davon, wie mir anmutet, beschreibt der Regisseur als Schwarze Magie etwas, das, losgelöst von der originären, alle Geschicke leitet, und nur noch für sich selber steht. Vielleicht ist sich das Individuum in Massen ja wirklich nicht bewusst, dass es mit Technologie nicht nur mehr unschukdige Magie betreibt?
"In einer freien Gesellschaft ist es so, dass Medien frei entscheiden" zitiert süddeutsche.de den innenpolitischen Sprecher der SPD-Fraktion, Michael Hartmann, zur aktuellen Berichterstattung Breivik, die mir Herr Kullukcu als Beispiel zu meiner Frage der Gegenwärtigkeit seiner Aufführung nennt. „Für das eigene Verhalten“, so Kullukcu, „ist jeder selbst verantwortlich“. Mit seiner endgültigen Antwort verbleibt er einfach: „Entweder man entscheidet sich für das Gute oder das Böse. Soviel ist da nicht dazwischen.“
Auch an diesem Sonntag habe ich kein „Pickerl“ an meiner Frontscheibe im eingeschränkten Halteverbot. Es regnet. Ich glaube, ich komme am Freitag noch mal in die Schillerstaße. EMBRYO spielen ja wieder. Susanna, die Dame an der Theke, verabschiedet mich mit „bis bald!“.
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Volltext der Tragödie: http://www.archive.org/stream/diefackel418krauuoft/diefackel418krauuoft_djvu.txt
Breivik SZ: http://www.sueddeutsche.de/panorama/prozess-gegen-norwegischen-attentaeter-breivik-prahlt-mit-seinen-bluttaten-1.1334346
WIkipedia Halteverbot: http://de.wikipedia.org/wiki/Haltverbot
Anton Kaun: http://www.rumpeln.de
Galerie Kullukcu: http://kullukcu.de
tellerwaescher - 17. Apr, 14:08